Von Ronny Blaschke - Deutschlandfunk - Dlf
Rund zwanzig Prozent der Iraner haben einen aserbaidschanischen Hintergrund, vor allem im Nordwesten des Landes. Es ist die größte der so genannten turksprachigen Minderheiten. Viele sind stolze Anhänger des Fußballklubs Tractor in Täbris. Die Stadt ist eines der wichtigsten kulturellen Zentren der aserbaidschanischen Iraner.
Anfang 2020 spielt Tractor in der Hauptstadt Teheran gegen den Meister Persepolis. In den sozialen Medien kursiert damals ein Video: Junge Männer malträtieren einen Spielzeugesel. Seit Jahrzehnten werden Tractor-Anhänger besonders in Teheran als Esel bezeichnet, erzählt der iranischstämmige Publizist Behrang Samsami: „Die Kontinuität besteht darin, dass man alles Nicht-Persische unterdrücken will. Weil man eben diese chauvinistische, nationalistische Meinung vertritt, dass das Persische höherwertiger ist. Das soll sich halt auch im Fußball zeigen. Es ist so, dass die nicht-persischen Ethnien eben nicht die Möglichkeit haben wie die persische Bevölkerung, ihre Sprachen und Kulturen auszuleben.“
Fangesänge für Klimaschutz
Behrang Samsami hat über den Verein Tractor im vergangenen Jahr einen ganzseitigen Artikel für die Frankfurter Allgemeine geschrieben. Er beleuchtet darin, wie der Rassismus im Iran über Generationen gewachsen ist: Schon das Regime von Reza Schah Pahlavi orientiert sich ab den 1920er Jahren an den Traditionen des antiken Perserreiches. Ethnische Gruppen wie Kurden, Araber oder Turkmenen klagen über Ausgrenzung. Viele werden zur Assimilation gedrängt.
Die Islamische Revolution 1979 will mit dem Schah brechen – allerdings nicht bei allen Themen, sagt der Soziologe Vahid Qarabagli: „Fast dreißig Prozent der iranischen Bevölkerung sprechen Türkisch. Doch in offiziellen Reden werden sie häufig als rückwärtsgewandt dargestellt. Als Menschen, die keine wahren Iraner sind. Das Regime betrachtet ethnische Vielfalt als Bedrohung für die Sicherheit. Deutlich wird diese Haltung durch rassistische Fangesänge in der Hauptstadt Teheran. Auf diese Weise werden turksprachige Iraner entmenschlicht.“
Vahid Qarabagli möchte seinen richtigen Namen nicht nennen. Als Student und Menschenrechtler ist er 2007 in die Türkei geflohen, inzwischen forscht er im kanadischen Vancouver. Seine Familie lebt im aserbaidschanisch geprägten Teil des Iran. Qarabagli hält Kontakte zu Journalisten, Anwälten und Aktivisten. Möglichkeiten für Proteste haben sie kaum, sagt Qarabagli, doch es gibt Ausnahmen: „Stadien sind soziale Treffpunkte. Gerade Tractor bietet der unterdrückten Zivilgesellschaft eine Möglichkeit. Während der Spiele fordern einige Fans die Freilassung von politischen Gefangenen. Manchmal geht es in den Gesängen um soziale und klimapolitische Themen. Zum Beispiel um den Urmiasee, der von der Austrocknung bedroht ist. Die Regierung kann Fans für Proteste jederzeit festnehmen.“
Die Anhänger von Tractor protestieren mitunter gegen das Besuchsverbot für Frauen in Stadien. Oder sie provozieren: Bezeichnen den Persischen Golf als Arabischen Golf. Oder besingen Baku und Ankara, die Hauptstädte von Aserbaidschan und der Türkei, schreibt der Soziologe Qarabagli in einem Aufsatz.
Rassismus wird kaum thematisiert
Der Iran durchlebt seit der Verschärfung der US-Sanktionen 2018 eine Wirtschaftskrise, verschlimmert durch die Corona-Pandemie. Viele Iraner erwarten Reformen, stattdessen werden sie unterdrückt, sagt Bijan Djir-Sarai, außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag: „Im Grund genommen gibt es keine Perspektive für die Menschen. Und das führt dazu, dass die Unzufriedenheit steigt, gerade in bestimmten Regionen, wo man auch glaubt, dass die Zentralregierung weit weg ist. Es gibt ja beispielsweise die Azeri im Norden. Auch die denken: Wir könnten ein besseres Leben haben. Wenn die sich den aserbaidschanischen Staat anschauen. Dort gibt es auch keine Freiheit. Aber wenn man sieht, was dort für wirtschaftliche Möglichkeiten existieren, dann fragt man sich dann schon: Ist das denn richtig, wo wir hier sind?“
Im Jahr 2010 schrieben mehr als vierzig Wissenschaftler, Journalisten und Aktivisten einen offenen Brief an den damaligen Fifa-Präsidenten Sepp Blatter. Und forderten Sanktionen für Rassismus im Umfeld von Tractor Täbris. Das Antirassismusnetzwerk Fare nahm die Anfeindungen 2017 in ein Handbuch über Diskriminierungen auf. Doch darüber hinaus passiere wenig, sagt Bijan Djir-Sarai, der seine Kindheit im Iran verbracht hat. Und er blickt auf andere Minderheiten: „Wer zur jüdischen Community gehört im Iran, der steht permanent mehr oder weniger unter Spionageverdacht. Da wird sehr genau geachtet, was machen die im Iran. Wenn sie im Ausland sind: Reisen die nach Israel, ja oder nein, welche Kontakte gibt es dort? Und wenn ich mir das Bildungssystem insgesamt anschaue, wird das aus meiner Sicht an keiner Stelle thematisiert, dass diese Minderheiten in der Form existieren.“
Auch andere Minderheiten im Iran vernetzen sich im Fußball. Der erfolgreichste Klub aber bleibt Tractor Täbris, gegründet 1970 von einem Traktorenhersteller. In mehr als fünfzig Jahren ist Tractor noch nie iranischer Meister geworden. Und viele Fans vermuten, dass das Regime das auch in Zukunft nicht zulassen wird.
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